Innovation lässt Marken über Jahrzehnte attraktiv bleiben. Für Persil, 1907 von Fritz Henkel erfunden, heißt das: Persil bleibt Persil, weil es nicht Persil bleibt. Was nichts anderes bedeutet, als dass sich Zeiten und Konsumentengewohnheiten, Waschtechnologien, Chemieinhaltsstoffe und Textilzusammensetzungen ändern und daher Persil in seiner Darbietungsform – Rezeptur, Applikation – angepasst werden muss. Nur die Markenbotschaft bleibt stets gleich vertrauensvoll: Persil sorgt für saubere, hygienisch reine Wäsche. Im Fußball muss markentechnisch der Begriff Innovation durch Erfolg ersetzt werden. Strahlkraft und Markengefolgschaft entstehen durch gewonnene Titel sowie Pokale, die durch bewundernswerte Teams errungen werden.
Fehlen Innovationen und Erfolg verabschieden sich Konsumenten wie Fußballfans. Kodak, Nokia, Julius Meinl verblassten somit ebenso wie Fußballklubs á la Ipswich Town (Uefa-Cup-Sieger 1981), Leeds United (1975 Landesmeister-Finalist, 1992 englischer Meister), oder Nottingham Forest (1978 englischer Meister, 1979 & 1980 Sieger im Europapokal der Meister). Pure Tradition reicht da wie dort nicht aus, um Menschen kauftechnisch oder fanmäßig bei der Stange zu halten. Andererseits ist die Markenliebe wahrscheinlich nirgends so groß wie im Fußball. Dass sich Rapid-Fans in der Kapelle des eigenen Stadions taufen lassen können, dass sie hier heiraten dürfen und sich mittels Urnenbestattung sogar ins Jenseits verabschieden, ist ein illustres Beispiel dafür. Ein anderes Exempel, das einen emotionalen Unterschied zu Unternehmen festmacht: Fußballklubs gehen nicht pleite. Eine Statistik aus England zeigt: Von den 88 Teams der ersten vier Ligen, Basisjahr ist 1923, existierten knapp 80 Jahre später 85 Klubs (= 97 Prozent) immer noch, 75 (= 85 Prozent) von ihnen im Profibereich. Von den Top-100 britischen Unternehmen aus 1912 existiert heute dagegen die Hälfte nicht mehr.
Achtens: Kreativität wächst aus der Not heraus: Das gilt für Unternehmen wie für den Fußball.
Aus der Not eine Tugend machen, ist das, was in Wirtschaft und Fußball gleichermaßen erfolgversprechend ist. Rund die Hälfte des Umsatzes macht Henkel heute mit Klebstoffen. Auf dieses Geschäftsfeld stieß das Unternehmen jedoch nicht, weil irgendwelche Trendgurus den Produkten eine besonders tolle Zukunft versprochen hatten. Vielmehr fehlte es in den 1920er-Jahren an Leim, um die Persil-Waschmittelpackungen zu verkleben. So begann man in Düsseldorf den Klebstoff selbst zu produzieren. Andere Unternehmen wurden darauf aufmerksam und begannen, den von ihnen ebenfalls dringend benötigten Leim bei Henkel zu kaufen. Im Fußball ist Deutschland ein gutes Beispiel, wie eine Krise zu positiver Veränderung führen kann. Nach der Europameisterschaftsschlappe im Jahr 2004, als in der Vorrunde nicht einmal Lettland besiegt werden konnte, begann der DFB das Ausbildungssystem komplett zu verändern. Ergebnis-Höhepunkt: der Weltmeistertitel 2014. Auch England vermag als Exempel zu dienen. Das Hooligan-Problem der 1980er-Jahre führte zu jenen Reformen, die letztlich in die Gründung der Premier League mündeten, heute die ökonomisch erfolgreichste und damit strahlkräftigste Liga der Welt. Und der Umstand, dass die englische Nationalelf bei großen Turnieren stets das Nachsehen hatte, brachte eine Reform des Nachwuchssystems mit sich. Inzwischen sind die englischen Youngsters unter anderem U17- und U20-Weltmeister, U-17-Vize-Europameister sowie U19-Europameister und sie waren zuletzt Semifinalist im U21-Bewerb.
Neuntens: Es ist banal, aber es stimmt: Die Qualität der Mitarbeiter ist für den Erfolg in Unternehmen und im Fußball hauptverantwortlich. Und gutes Personal kostet Geld, in den Firmen und am Fußballplatz.
Auch Herr Kühbauer, der Nachfolger von Herrn Djuricin als Rapid-Trainer, wird aus dem VW Polo Rapid keinen VW Touareg Rapid machen können. Im sehr zahlenfixierten, etwas anstrengend zu studierenden Buch „Pay as you Play. The True Price of Success in the Premier League Era” von Paul Tomkins, Graeme Riley und Gary Fulcher (GPRF Publishing, 2010) wird Englands oberste Liga im Zeitraum 1992 bis 2010 statistikmäßig eindrucksvoll durchleuchtet. Klare Erkenntnis: Geld schießt Tore und gewinnt Titel. Je teurer der Kader, desto sicherer stellt sich Erfolg ein. In zehn von insgesamt 18 untersuchten Premier League-Saisonen gewann die teuerste Mannschaft, vier Mal das zweitteuerste Team. Der große historische Ausreißer bleibt natürlich aus der jüngeren Vergangenheit, die in diesem Buch noch nicht erfasst ist, die Meisterschaft von Leicester City im Jahr 2016. Oder wie es mein Freund Michael Cole, ehemaliger FC Fulham-Direktor, so treffend sagt: „Es gibt sieben Weltwunder. Sie stehen alle in der Bibel. Nur Fußballfans glauben stets an ein achtes.“ Interessant ist wiederum der Nachweis im Buch, wonach teure Panik-Transfers oder ein Trainerwechsel, wenn zum Beispiel im Winter noch rasch ein tabellarischer Umschwung erreicht werden soll, überbewertet sind. Sind wiederum in Unternehmen egozentrische Großsprecher zumindest zu Beginn mit Startvorteilen ausgestattet, ehe sie meist die Firmenrealität einholt, so gibt es den Wirklichkeitsverlust natürlich auch im Fußballgeschäft. Stars, die in internationalen Großturnieren glänzen, sind überbewertet, ebenso Spieler aus bestimmten Nationen. Man kennt das ja, Brasilianer sind spielfreudig, Italiener taktikerprobt, Spanier technisch versiert, und Deutschland ist die Heimat exzellenter Torhüter.
Zehntens: Auch der Fußball zeigt, dass Vielfalt oft über Erfolg und Nichterfolg bestimmend sein kann.
Diversity lautet in Firmen das Zauberwort. Teams setzen sich aus Mitgliedern zusammen, deren Talente sehr vielfältig sind. Diese bunte Mischung führt dann zu den besten Resultaten, weil ja verschiedene Aspekte von Problemen, die es zu wälzen gilt, schon a priori genau betrachtet und berücksichtigt werden. Im Fußball als Mannschaftssport geht es ohne Vielfalt an Talenten klarerweise ebenfalls nicht. Dort, wo der Erfolgsdruck am höchsten ist, in England, gibt es die besten, historisch belegbaren Beispiele. So stand beim FC Chelsea am Boxing Day, dem 26. Dezember 1999, erstmals in der britischen Fußballhistorie kein Engländer in der Startelf. Die Spieler, die Southampton 2:1 besiegten, stammten aus neun Nationen. Im Februar 2005 befand sich kein einziger Engländer im Spielkader des FC Arsenal, es folgte ein 5:1 gegen Crystal Palace. Und schließlich zog Manchester United am 10. Mai 2009 insofern nach, als 11 Spieler aus 11 unterschiedlichen Nationalitäten im Derby gegen Manchester City für einen 2:0 Erfolg sorgten. Doch selbst das Wohl und Weg von Österreichs Nationalteam ist an der Legionärsstatistik ablesbar. Spielten bei der Heim-EM 13 von 23 Kaderspielern in der österreichischen Bundesliga, so war es bei der EM in Frankreich (2016) mit Tormann Franz Almer ein Einziger. Apropos EM in Frankreich: Dass das russische Team nur einen Vorrundenpunkt (gegen die ebenfalls enttäuschenden Engländer) machte und sogar gegen die Slowakei und Wales verlor, kam aus der Vielfaltsperspektive betrachtet nicht wirklich überraschend: Kein einziger der 23 russischen Fußballer verdiente sein Geld im Ausland, in Ligen also, die die Spielkultur der Sbornaja doch etwas bereichern oder inspirieren hätten können.
Und schließlich elftens: Der Glaube, dass einzelne Personen an der Spitze eine gewisse Heiland-Funktion übernehmen, trifft für Unternehmen und den Fußball zu.
Das Storytelling im CEO-Bereich hat heute große Tradition. Ruhm und Glorie von Unternehmen werden mit den (noch immer meist) Männern an der Spitze verbunden. Die Denker und Lenker sollen es richten, obwohl – siehe oben – die Qualität der Teams und die Unternehmenskultur entscheidend sind. Doch Leute wie Elon Musk (Tesla), Jeff Bezos (Amazon), Steve Jobs (Apple), Bill Gates (Microsoft) oder Dieter Zetsche (Daimler) wissen oder wussten ihren Ruf zu pflegen. Im Fußball sind es heute die Trainer, die intellektuelle Überlegenheit mimen und sich als glanzvolle Strategen präsentieren. Ihre Biografien und Ratgeber werden gerne gelesen, etwa von Jürgen Klopp („Ich mag, wenn´s kracht“), Carlo Ancelotti („Quiet Leadership. Wie man Menschen und Spiele gewinnt“), José Mourinho („Die Biografie“), Pep Guardiola („Die Biografie“, „Der Fußball-Philosoph“, „Das Deutschland-Tagebuch“). Doch wahrscheinlich ist auch ihnen klar, dass letztlich Vereinsbudget, Vereinseigentümer und Vereinsphilosophie sie erfolgreich walten lassen oder eben nicht und dass nicht selten das Glück den abgefälschten Ball in Minute 94 zum Siegestor ins Netz kullern lässt. Ob das ein José Mourinho auch zugeben würden? Nein, das denke ich nicht.
Tradition kann man nicht kaufen. Besitzt man sie, gilt es sie zu pflegen. Dann wird sie vielleicht sogar zum Mythos. In Liverpool ist das der Kop, die treuen Heimfans auf der Hintertortribüne. Dieser Videoclip aus dem Jahr 1964 zeigt den Kop, wie er 28.000-stimmig die neusten „Beatles“-Hits (!) intoniert.