Man kann statt Darwin auch den Ahnherrn des puren Kapitalismus, Adam Smith, bemühen. Geld regiert die Profifußballwelt, die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer. Mit so etwas wie sozialer Marktwirtschaft, die impliziert, sein Personal mit gewisser Sorgfalt und Rücksichtnahme zu behandeln, hat das Geschäft mit dem runden Leder absolut nichts am Hut. Die Verweildauer von Trainern in der deutschen Bundesliga liegt bei knapp über einem Jahr. Mögen manche von Quartalsberichten getriebene Firmen kritisieren, so reicht die Fußballvereinsvision, was denn mit dem vorhandenen „Spielermaterial“ erreicht werden könne, von Spieltag zu Spieltag, bis zum nächsten Wochenende.
Interessant ist, dass die Fans diese Form des fragwürdigen sportlichen Miteinanders, die, wie Lars Mrosko erfahren musste, auch bei sogenannten alternativen Kultklubs wie St. Pauli durchaus vorherrscht, akzeptieren. Und fast witzig ist es, wenn ein Verein wie RB Leipzig als Markenvehikel eines Getränkekonzerns vielfach missachtet wird, ein Verein, der zumindest bis vor kurzem eine Gehaltsobergrenze für Spieler aufrecht hielt, ein gewisser, selbst auferlegter Zwang also, eigene Spieler bestmöglich weiterentwickeln zu müssen.
Ich bin auch überzeugt davon, dass der Fifa-Beschluss, ab 2026 eine WM mit 48 Teams auszurichten von den Fans letztendlich anstandslos hin- und angenommen wird. Obwohl klar ist, dass es dabei nur um maximalen Fußballbusiness-Profit geht und ein Turnier alle vier Jahre mit den allerbesten Mannschaften sportlich ansprechender wäre. Ich schätze, dass auch bald der 4-Jahres-Rhythmus der Fußball-WM dem Geld geopfert wird.
Warum akzeptieren Fußballfans diesen Wahnsinn? Aus Egoismus. Wir wissen ja auch um die, nennen wir es, Unregelmäßigkeiten von Apple (Steuern), Amazon (Arbeitsverhältnisse), VW (Dieselgate) oder Google (Weltmachtfantasie). Nur, deren Produkte, deren Service sind halt doch irgendwie Premium. Und das sind ja auch die Fußballteams aus München, Madrid, Barcelona und Manchester – sie anzufeuern, mit ihnen mitzufiebern und auf der sonnigen Siegerseite zu stehen, das hat schon was. Das System dahinter? Egal.
Lars Mrosko ist als Scout und Spielerberater am System schwer gescheitert. Er wird am vorläufigen Ende seiner von Ronald Reng spannend erzählten Geschichte Co-Trainer einer Berliner Jugendmannschaft seines Fußballkumpels Shergo. Der allerletzte Buch-Absatz zeigt dann allerdings geradezu (Fußball)poetisch, warum die Liebe zum Fußball, zu diesem so einfachen Spiel oft trotz aller Scheußlichkeiten irgendwie unauslöschlich bleibt:
Die letzte Spielminute im Spiel der vierten A-Jugendliga zwischen dem TSV Rudow und dem BFC Dynamo läuft. Shergo, der für Union in der zweiten Bundesliga stürmte, und Mrosko, der Edin Dzeko für Wolfsburg sichtete, rudern mit den Armen, nach vorne!, nach vorne!, sie rufen, obwohl sie wissen, dass ihre Spieler sie nicht hören werden: „Komm, Ramiz, jetzt schieß!“ Und Ramiz schießt.
Der Schiedsrichter, der 17 Euro für die Leitung des Spiels erhält, hat sich schon entschieden, nach diesem Angriff abzupfeifen. Und Ramiz schießt den Ball ins Tor, aus 18 Metern, genau ins untere rechte Toreck, zum 1:1, nicht in der letzten Spielminute, sondern in der letzten Spielsekunde. Mrosko rennt auf das Spielfeld, er vergisst seine (Anm.: mehrfach zertrümmerte, chronisch schmerzende) Ferse, er umarmt die Jungs. Er weiß nicht, ob Eintracht Frankfurt ihn (Anm.: als Scout) nehmen wird, er weiß nicht, was aus seinem Leben wird, er weiß nur, dass er diesen Moment unverändert liebt.“
P.S.:
Neue Fußballhymne zum Mitsingen fürs Stadion gefällig? Ein schon recht betagter Ohrwurm von Billy Paul: „Only the strong survive“.