Es ist alles doch etwas kompliziert. Diese Fred Sinowatz zugeschriebene Lebenserkenntnis trifft auch auf die Verkehrspolitik zu.
Die mediale Euphorie rund ums Elektroauto lässt einen glauben, dass durch das Aus für Dieselstinker Umwelt- und Verkehrskollaps bald der Vergangenheit angehören. Das Aha-Erlebnis, dass der Strom zuvor aber auch irgendwie produziert werden muss und der vielerorts beschlossene Ausstieg aus Kernkraft und Braunkohle-Befeuerung damit nicht wirklich möglich ist, sorgt allerdings für Ernüchterung. Zudem ist die politische Verlautbarung, dass ab einem bestimmten, relativ nahen Zeitpunkt (2020) nur mehr teure E-Autos zugelassen werden, nicht zu Ende gedacht. Abgesehen von der monetären Leistbarkeit des Umstiegs beläuft sich das Durchschnittsalter eines PKW etwa in Deutschland auf 9,3 Jahre.
Es braucht in der Verkehrspolitik verschiedene Verhaltensanreize und vor allem mehr nüchternen Pragmatismus.
So ist das Autofahren am Land, gefühlt, kein großes Problem. Kritisch wird es vielmehr, wenn die PKW-Lenker vom Land ihr Gefährt auf die Autobahnen lenken und sich damit in die und um die Städte herum auf den Weg machen. Hier müssen neue Mobilitätskonzepte her, die aber vorrangig weniger bzw. nicht nur mit dem Motorenantrieb der jeweiligen Fortbewegungsmittel zu tun haben.
In Wien hat das 2012 eingeführte Öffi-Jahresticket zum symbolhaften Preis von 365 Euro zu einer Verdoppelung dieser Tickets auf 760.000 Stück geführt. Gleichzeitig erhöhen ein gutes Verkehrsnetz und akzeptable Fahrtenintervalle die Akzeptanz von U-Bahn, Bus und Tram. Problematisch bleibt die Wiener Verkehrssituation, weil die Bewohner der wachsenden Speckgürtel rund um Wien und der vielen Neubauten in den Außenbezirken Teil des städtischen Verkehrsflusses sind bzw. künftig noch stärker werden. Wer sich heute jeden Morgen auf der bereits vierspurigen A2 in Richtung Wien ab Traiskirchen im Staumodus befindet, weiß, was gemeint ist.
Was tun?
Ja zur E-Mobilitäts-Förderung, allerdings für Busse, LKW, Lieferwägen, Taxis, Transportautos.
Nein zur Pendlerpauschale in der jetzigen Form. Diese rund 1,3 Milliarden Euro, die, wie der VCÖ schon vor längerer Zeit berechnet hat, überproportional den Besserverdienern (das sind die mit den teuren Häusern in den besagten Speckgürteln) zugutekommen (https://diepresse.com/home/innenpolitik/4662031/Pendlerpauschale_Ein-Fuenftel-geht-an-Gutverdiener), sollten zur Gänze in den öffentlichen Verkehr fließen und zwar zusätzlich zu allen Infrastrukturverbesserungsmaßnahmen. Jeder Österreicher muss in Folge - und als klarer Anreiz zum Autoverzicht speziell in urbanen Gefilden - die Möglichkeit auf ein attraktives Öffi-Pauschalticket fürs gesamte Land bekommen. Wer weiterhin mit dem Auto unterwegs ist, tut dies auf seine eigenen, nicht subventionierten Kosten. Ich bin überzeugt davon, dass auch an den bis dato unattraktiven Stadträndern ganz neue, kreative, durch die Digitalisierung möglich gemachte Mobilitätsangebote, teilweise von den Firmen für ihre Mitarbeiter mitinitiiert, entstehen würden. Ganz einfach, weil die Bequemlichkeit, mit der eigenen Karre in stark verbautem Gebiet durch die Gegend zu cruisen sukzessive wegfallen muss.
Apropos verkehrspolitischer Pragmatismus. Dazu zählt auch, sich nicht nur Diesel-Fahrzeuge anzusehen. Die ehemalige Chefökonomin der Bank Austria, Marianne Kager, hat in den „Salzburger Nachrichten“ (www.sn.at/kager) vor Kurzem in einem Kommentar anhand interessanter Zahlen aufgezeigt, dass die Schifffahrt zum weltweit sechsgrößten Produzenten von Treibhausgasen zählt. Für meist mit Schweröl betriebene Schiffe liegt der Schwefelgehalt bei einer Obergrenze von 3,5 Prozent, dem 3500-fachen des Schwellenwerts für Euro-5-PKW. Ähnlich ambitioniert sind die Werte für Stickoxide bzw. CO2 (hier gibt es keinen). Das sollten sich auch Kreuzfahrtschiff-Benutzer vor Augen führen, wenn sie am Oberdeck frische Meeresluft inhalieren. Der Umstand, dass ein solcher Ozeanriese auf einer Ausfahrt so viele Schadstoffe ausstößt wie fünf Millionen PKW auf gleicher Strecke, ist, zumindest aus Einzelperspektive betrachtet, dann fast schon das geringste Problem.
Attraktives Mobilitätsangebot in Oslo: eine Solarstrom-Tankstelle für E-Bikes