Ich sehe zwei Gründe dafür.
Erstens: Es besteht an der sogenannten Problemlösungskompetenz der Politik ein gehöriger Zweifel, der in reichlich Frust resultiert. Denn die meisten gesellschaftlichen Problemfelder sind ja nicht wirklich neu, von den unsicheren Pensionen, über die Altersarbeitslosigkeit, die Bildungsmisere, das schwächelnde Gesundheits- und Sozialsystem bis hin zur Verwaltung, die als ineffizient eingestuft wird.
Lösungs- und Reformvorschläge gibt es seit Jahrzehnten zur Genüge. Getan hat sich, auch dank Koalitions- und Sozialpartnerstarre, wenig. Warum also, werden sich viele denken, soll ich zum Beispiel den Herren Kurz und Kern mit ihren Neustartbekundungen und Aktionsplänen Glauben schenken, wenn deren Parteien seit Jahrzehnten die Macht gehabt hätten, für Veränderung zu sorgen?
Zweitens: Das aktuelle Wahlrecht verleitet dazu, strategisch zu wählen. Wählt man Kurz, akzeptiert man die FPÖ als Partner. Verliert die SPÖ zu stark, kommt mit Doskozil möglicherweise eine neuer Spitzenmann ans Ruder und eine Koalition mit der FPÖ ist ebenso am Tisch. Wählt man wiederum eine der Kleinparteien, riskiert man, dass eine bestimmte Koalitionskonstellation – siehe oben – wahrscheinlicher wird.
Der Ausweg aus diesem Dilemma ist nur langfristig zu finden: indem das politische System umfassend reformiert wird.
Die Zeiten haben sich geändert, seit Nationalrat, Bundesrat, Landtage, Bezirks- und Gemeindeverwaltungseinheiten und obendrauf der Bundespräsident, unser Ersatzkaiser, in heutiger Form erfunden wurden. Längst Zeit also, hier etwas zu ändern. Beispielsweise mit einem Mehrheitswahlrecht, das eine klare Mandatar- und vor allem Regierungsverantwortung mit sich bringt. Beispielsweise mit mehr direkter Demokratie auf lokaler Ebene. Beispielsweise mit Budgethoheit dort, wo das Geld letztlich auch ausgegeben wird.
Diese demokratiepolitischen Reformen können nicht von heute auf morgen geschehen, sondern nur in Etappen. Schön wäre es, wenn nach dem 15. Oktober, von wem auch immer, die erste Etappe in Angriff genommen wird.
P.S.: Ein sehr schönes Zitat des Literaten Peter Turrini zum Wahlkampf findet sich im heutigen "Kurier": "Österreich ist ein Einwanderungsland, seit Jahrhunderten. Die Österreicher sind vermischte Wesen, Promenadenmischungen, die den Vorteil ihrer Mischkulanz nicht wahrnehmen wollen und sich immer wieder als reinrassige Schäferhunde ausgeben. Das Grundübel dieses Landes ist die mangelnde Selbsterkenntnis."