Was fasziniert Menschen so, dass sie unbedingt bei Temperaturen am Gefrierpunkt, bei Regen, bei Schneefall, bei stürmischem Wind, ein Spiel ihrer Multikulti-Millionärstruppe A gegen die gegnerische Multikulti-Millionärstruppe B live anschauen wollen und dafür zugleich bereit sind, den überteuerten Eintrittspreis für einen Platz auf einer zugigen Tribüne zu bezahlen?
Klar, der Fußballpurist wird sagen, es ist der Reiz des Spiels, jeder Fehler, jedes Tor entscheidet – etwa im Unterschied zum Basketball, wo der einzelne Korbtreffer im Spielverlauf und Gesamtkontext bedeutungslos ist. Dabei sein ist alles.
Aber das Dabeisein ist mehr. Fußballvereine repräsentieren in einer Zeit, in der Flexibilität und damit Bindungslosigkeit gefragt sind, größere, oft virtuelle Gemeinschaften, die Tradition, Heimat, Verwurzelung darstellen. Sie stehen für die Geschichte eines gemeinsam erlebten Auf und Ab, für Erfolge und Misserfolge, für Heldentum und Verlierersaga, für schöne und weniger schöne Erinnerungen. Bei Chelsea knarzt vor Anpfiff eine aus der Zeit gefallene Reggae-Hymne durchs Stadion. Bei West Ham fliegen zu Beginn nicht nur kollektiv gesanglich „Bubbles in the Air“. Und bei Fulham ertönt pünktlich zum Halbzeitpausenende „London calling“ der längst verblichenen „The Clash“ im Stadion. Darauf ist Verlass – egal in welcher Liga der Verein gerade spielt, ob es ihm gut oder schlecht geht oder welcher Besitzer sich gerade feiern bzw. ausbuhen lässt.
Fußballvereine hanteln sich an einer Zeitleiste entlang und lassen dadurch vielen das eigene Schicksal bewusst einordnen. Jeder Rapidler weiß, was 1985 los war, als Rapid im europäischen Cupsiegerbewerb das Finale gegen Everton verlor. Jeder Austrianer tut dies für das Jahr 1978, als der Verein, im selben Bewerb, gegen RSC Anderlecht mit 0:4 den Kürzeren zog. In England machte aus diesen Parallelen von eigener Biographie und Vereinsgeschichte der Schriftsteller Nick Hornby in seinem Arsenal-Epos „Fever Pitch“ einen Bestseller.
Der Fußball wird weiter populär bleiben, weil er unserem Leben entspricht – mit Licht, Schatten, Ungerechtigkeiten, Schadenfreude und sogar mittels Erkenntnis, dass mit reichlich Geld doch vieles leichter fällt.