Dabei gibt es so viel „Bundeskanzler“ medial wie noch nie zuvor – nur halt auf vielen verschiedenen Kanälen. Kein Tag vergeht, an dem nicht irgendwo ein Kern-Interview oder -Statement auftaucht – exklusiv vermarktet, versteht sich, und wahrscheinlich sogar in den bzw. über die meisten Medien, deren Vertreter sich gleichzeitig über die Absage des Pressefoyers mokieren.
Dabei täte den politisch Handelnden etwas mediale Zurückhaltung gut. Denn man bekommt vielfach den Eindruck, dass das politische Handeln aufgrund vieler Medientermine eher zu kurz kommt.
Sich über etwas Gedanken zu machen, sich über Probleme oder gesellschaftliche Schieflagen den Kopf zu zerbrechen, ferner Entscheidungen argumentativ vorzubereiten und sie vor allem dann auch, möglichst rasch, zu treffen, benötigt zum einen genügend Zeit. Zum anderen sind viele Interviews gespickt mit Ankündigungen und Absichtserklärungen, die dann nicht eingehalten werden, für Unzufriedenheit sorgen und Politikern später – nichts ist so grausam wie das Archiv – empört vorgehalten werden.
Letztlich verändern sich Kommunikationsweisen und damit die Medien, die die Menschen verwenden. Das Telegramm gibt es nicht mehr, der Stadtschreiber hat folkloristischen Charakter, und Brieftaubenzüchtung ist ein schönes Hobby für Freaks. Es ist daher legitim, Modelle politischer Kommunikation infrage zu stellen. Das betrifft übrigens auch das Parlament, in dem nach wie vor Plenarsitzungen abgehalten und hiermit eine Tribüne der Publizität von Argumenten geschaffen wird, die vor 100 Jahren äußerst wichtig war. Brauchen wir sie heute noch, wo in Echtzeit und ohne örtliche Barrieren in Wort, Bild und Ton debattiert werden kann? Nein. Also abschaffen. Und vor allem darüber verstärkt nachdenken, ob man sich als politischer, aber auch wirtschaftlicher Entscheidungsträger wirklich zu allem und jedem, immerzu und immerdar äußern muss.
Ein äußerst lesenswertes „Standard“-Interview mit Bundeskanzler Christian Kern (das ihn sympathisch macht) zum Thema Medien & Journalismus findet sich hier: http://derstandard.at/2000043762166/Ich-will-nicht-auf-einen-Einzeiler-reduziert-werden
Der omnipräsente Kommunikationszwang wird von „Deichkind“ in „Like mich am A…“ pointiert hinterfragt: