Das gilt auch für eine E-Mail-Zusage für ein Interview. Es ist punkt 14.45 Uhr. Die automatische Eingangstür des Meliá-Hotels Bilbao öffnet sich. Herein spaziert José Marí Amorrortu, Sportdirektor beim Athletic Club Bilbao. Der 64-Jährige war schon alles im Fußball: Stürmer, Trainer, Nachwuchschef und jetzt eben Herr über die Fußballgeschicke des stolzen baskischen Klubs. Was für ihn der schwierigste Job gewesen sei? „Trainer, der Druck ist immens hoch.“ Zusatz: „Vor allem Trainer bei Athletic zu sein, ist am härtesten. Du hast nur Spieler zur Verfügung, die hier geboren wurden oder fußballerisch aufgewachsen sind.“
Warum gibt es die Akzeptanz von ausländischen Fußballlehrern im Verein? Jupp Heynckes werkte zwei Mal in Bilbao, der Österreicher Helmut Senekowitsch tat dies in der Saison 1979/80. José Marí Amorrortu: „Die Einflüsse von Fußball-Europa waren uns immer wichtig. Wir wollen uns ja laufend weiterentwickeln und lernen.“ Aber könnte man nicht auch durch den einen oder anderen starken Fußball-Legionär die Lernkurve nach oben schnellen lassen? Der Sportdirektor verteidigt das ungeschriebene Gesetz der „cantera“ auf der eher philosophischen Ebene: „Athletic Bilbao gehört den Menschen hier. Wir wollen unsere Philosophie, unsere Werte, unsere Tradition, unsere Identität erhalten. Die Spieler sind dabei das wichtigste Verbindungsglied zwischen dem Klub und den Fans.“ Letztere, und das ist auch in Spanien inzwischen eine große Seltenheit, sind die Eigentümer des Vereins.
Die hohe Fußballkunst von Athletic Bilbao, so José Marí Amorrortu, zielt auf die Eigenverantwortung der Spieler ab, die, basierend auf großen technischen Ballfertigkeiten, das schnelle, auch risikohafte Ballspiel pflegen sollen. Gelehrt wird das Konzept in Lezama, dem Trainingszentrum, rund 15 Kilometer außerhalb von Bilbao gelegen. Amorrortu: „Wir haben in unserer Akademie rund 230 Spieler in 13 Teams, von der U-11 bis zu den Erwachsenen.“ Ziel sei es, pro Saison zwei Spieler in den Kader des Erstligisten zu befördern. In den vergangenen sieben Jahren, was Amorrortus Amtszeit entspricht, seien dies 24 Fußballer gewesen. Von den aktuell 24 Kader-Spielern haben, so der Mann, der selbst auch in Bilbao geboren wurde, immerhin 18 Akademie-Vergangenheit.
Javier Cáceres hat in seinem 2006 erschienenen Buch „Fútbol. Spaniens Leidenschaft“ geschrieben: „Im Moment gibt es rund 2,2 Millionen Basken, und Athletic Bilbao dürfte der einige Verein der Welt sein, der am Saisonende nicht nur die Tabelle, sondern auch die Geburtenrate studiert.“ Diese Aussage stimmt weiterhin und begründet, warum der Traditionalist José Marí Amorrortu gleichzeitig Realist ist und bleibt: „Nein, einen Titel zu gewinnen, ist in Spanien ja fast unmöglich. Aber wir wollen im Europacup vertreten sein. Und wir wollen täglich dazulernen und besser werden.“
Der freundliche Sportdirektor verabschiedet sich in Richtung Stadion San Mamés. Dort erleben wenig später rund 34.000 Zuseher, wie Athletic in der Nachspielzeit gegen Celta Vigo doch noch den Ausgleich zum 1:1 hinnehmen muss. Für die Gegner aus Galicien hielt der Argentinier Gustavo Cabral die Abwehr zusammen, der Däne Daniel Wass, der Slowake Stanislav Lobotka sowie der Serbe Nemanja Radoja kurbelten im Mittelfeld, darüber hinaus sorgte der bullige Maxi Gomez aus Uruguay für Torgefahr. Die Athletic-Fans feiern ihre Mannschaft trotz Punkteverlust. Stolz lindert Leid.