Doch gerade wenn es ums Essen und Trinken geht, ist der Aufbau von Scheinwelten gang und gäbe. Wir trinken und fühlen uns fit – auch wenn die trendige Brause hauptsächlich aus Zucker, Geschmacksstoffen und Wasser besteht. Wir lieben Bio und retten die Umwelt – auch wenn entsprechendes Obst und Gemüse ein weit gereistes ist. Wir wollen für Fleisch und Wurst nur einen möglichst kleinen Obolus entrichten und glauben, dass das Schlachtvieh auf der Weide vom Bauern sanft zu Tode gestreichelt wurde.
Bisweilen decken Medien die Realität auf. Wie eben der „Spiegel“ mit dem reißerischen Titel „Natürlich künstlich. Billig, schnell, industriell: Unser Essen vom Fließband“. Kurz werden uns die Augen geöffnet. Doch beim nächsten Kaufakt bei Billa & Co. verschließen wir sie gerne wieder. Bequemlichkeit ist King, Sparsamkeit eine Tugend. Mehrweg schön und gut. Aber wenn Mineralwasser im luftig-leichten Einweg-Pet doch um 5 Cent billiger ist, beklagt der kritische Akademiker den Plastikverpackungswahn halt bei anderer Gelegenheit.
Woody Allen erklärte das Phänomen von Realitätsflucht in einem „Zeit“-Gespräch so: „Im Laufe des Lebens erfindet man Strategien, sich die Wirklichkeit vom Leib zu halten. Manche Leute gucken Fußball, andere malen oder töpfern. Man erschafft sich seine eigenen dummen kleinen Probleme. Selbst wenn man mit seiner Frau eine wunderbare Beziehung hat, erschafft man sich Schwierigkeiten, die man überwinden zu müssen glaubt. Das beschäftigt einen und lenkt ab von den unlösbaren Problemen der Welt. Mag sein, dass es irgendwo in der Wirklichkeit einen Platz für mich gegeben hätte. Aber ich hatte nie Lust, dorthin zu gehen. Ich wollte nicht in der Wirklichkeit leben. Ich glaube, niemand will das.”
Mehr (Selbst-)Ehrlichkeit täte in punkto Lebensmittel und Ernährung not. Und vor allem Gelassenheit. Denn Fakt ist: Noch nie in der Menschheitsgeschichte waren dank der bösen Industrie und Landwirtschaft Lebensmittel qualitativ so gut, so sicher und gleichzeitig so günstig wie heute.